Bis zur „Islamischen Revolution“ im Iran, war das kaiserliche Ehepaar Farah Diba und Reza Pahlevi auf den Titelseiten der westlichen Regenbogenpresse so präsent, wie heute Prinz Harry und Meghan Markle. Vor fast 40 Jahren wurde die Herrschaft des Shahs hinweggefegt. „Wir bringen die Stadt auf das Dorf“, lautete die Parole des Shahs, gemäß seiner Doktrin von der „Weißen Revolution“, dem Konzept einer knallharten Entwicklungsdiktatur. 1979 schluckte das Dorf dann die Stadt. Millionen Zuwanderer, aus den armen unterwickelten Landstrichen, wanderten in die Metropolen, in die Hauptstadt Teheran, wo die iranische Oberschicht rauschende Feste feierte, die Miniröcke der Frauen immer kürzer wurden, während die schroffen sozialen Gegensätze wuchsen. In den Elendsvierteln im Süden Teherans wurde das entwurzelte Landvolk zu einer armseligen Statistenrolle verdammt, bezüglich des dekadenten Schauspiels, einer aus den Fugen geratenen Konsumgesellschaft, dieses damals aufstrebenden Schwellenlandes, gekennzeichnet von extremen sozialen Gegensätzen. Der bis dahin engste Verbündete der USA in der Region, neben Israel, transformierte zum ersten islamistischen Gottesstaat, zum erbitterten Feind des Westens. Wer weiß denn heute noch, dass bis 1979 israelische Flugzeuge im iranischen Hochland Proberunden absolvierten? Der jüdische Staat und Persien hatten enge Beziehungen, als zwei nichtarabische Staaten, lagen und liegen die geostrategischen Interessen auf der Hand.

Aber zurück in die Gegenwart

Kollektive Fehlprognosen bezüglich Iran

Die Islamische Republik Iran wurde dieser Tage von Unruhen erschüttert, die in westlichen Medien zu einer nahezu kollektiven Fehlprognose führten, angesichts der Ursache und des Ausmaßes der Zusammenstöße.

Kommentatoren, die Iran nicht aus persönlicher Anschauung kennen, noch über die Komplexen sozialen und politischen Verhältnisse vor Ort informiert sind, verglichen die Ausschreitungen mit den Demonstrationen von 2009.

Damals erzeugte die umstrittene Wiederwahl des Hardliners Mahmud Ahmadinedschad bei der Präsidentenwahl eine riesige Protestwelle, die gewaltsam unterdrückt wurde.

Teheran und Teheranangeles

Die damaligen Demonstrationen, welche sich über Wochen hinzogen, waren von dem Unmut des Teheraner Nordens gespeist, den Wohnvierteln der iranischen Oberschicht, ein mondänes und kosmopolitisches Milieu, flankiert von den Protesten der akademischen urbanen Jugend. Diese Kreise stehen im regelmäßigen Austausch mit der persischen Diaspora, die ihren Schwerpunkt in Los Angeles hat, weshalb die südkalifornische Metropole auch im Volksmund Tehranangeles genannt wird. Im Stadtteil Beverly Hills sind 20 Prozent der Einwohner iranischer Herkunft und verfügen über das höchste Bildungs- und Einkommensniveau. Dort befindet sich auch das Zentrum der monarchistischen Opposition, also der Anhänger des 1979 gestürzten Shahs Reza Pahlevi.

Die neue iranische Mittelschicht

Im Iran entstand in den vergangenen Jahrzehnten eine Mittelschicht, welche in der islamischen Republik sozialisiert wurde und die durch die Privatisierungen in der Wirtschaft und durch ökonomische Reformen nach dem Ende des Iran-Irak-Krieges an Stärke gewann. Das Anwachsen dieser Mittelschicht, begleitet von wachsendem Wohlstand, ging einher mit den Forderungen nach größerer politischer Freiheit, weniger staatlichen Einschränkungen und gesellschaftlicher Liberalisierung sowie einer stärkeren Verknüpfung mit der Weltwirtschaft. In vielerlei Hinsicht beschleunigte die wirtschaftliche Liberalisierung im Iran die Forderungen nach politischen Reformen. Die ökonomische Modernisierung führte zum Erstarken zivilgesellschaftlicher Elemente und spiegelte die Werte und das Lebensgefühl der wachsenden Mittelschicht wider. Die Stärke der heutigen Reformbewegung im Iran - wie auch deren Schwäche - hängen unmittelbar mit dem Anwachsen einer neuen Mittelschicht in der jüngeren Vergangenheit zusammen. Diese Mittelschicht hat die Reformbewegung erst möglich gemacht. Aber sie ist noch nicht groß genug, um für einen endgültigen Erfolg der iranischen Reformbewegung zu garantieren.

Proteste von konservativen Hardlinern inszeniert

Die Proteste, welche dieser Tage in der ostiranischen Metropole Mashad scheinbar urplötzlich ausbrachen, haben weder mit dem Unmut der Oberschicht, noch den Reformwünschen der Mittelschicht zu tun, erst recht nichts mit den Wunschvorstellungen von einem Regimechange, wie man sie in Washington, Riad und Tel Aviv laut äußerte, sondern mit innenpolitischen Fronten im Iran selbst. Obwohl die Theokratie im Westen gerne als totalitäres „Mullahregime“ porträtiert wird, handelt es sich um ein autoritäres Politmodell, welches parlamentarische und theokratische Elemente vereint. Die jüngsten Proteste begannen in Mashad, der Hochburg des konservativen Kandidaten Ebrahim Raisi, der bei der letzten Präsidentenwahl gegen den Reformer Hassan Rohani unterlag. Als Ursache kann der neue Haushaltsplan der Regierung betrachtet werden, welcher kürzlich vorgelegt wurde und massive Einsparungen bei der Subvention von geistlichen Seminaren beinhaltet. Konservative Kreise des Klerus haben die Unruhen entfacht, die sich dann verbreiteten und die Wut der sozial vernachlässigten Schichten entfachten. Soziale Proteste sind im Iran nichts seltenes, finden häufig in Form von Demonstrationen statt. Im Gegensatz zu 2009 geht es nicht um Systemveränderungen sondern um eine andere Sozialpolitik.

Machtkampf zwischen Rohani und Khamenei

Im Hintergrund geht es um die Ausrichtung der zukünftigen Wirtschafts-und Sozialpolitik, mehr Liberalisierung versus staatliche Umverteilung, vor allem aber um den Machtkampf zwischen dem Präsidenten, in diesem Fall des Amtsinhabers Rohani, sowie des Revolutionsführers Ali Khamenei, dem laut Verfassung das wichtigste Staatsamt innenwohnt, nämlich dem Schutz der Revolution. Das die Zeit von Khamenei abläuft, er ist inzwischen 78 Jahre alt und seit dem Tode Khomeinis 1988 im Amt, ist ihm selbst bewusst Ob das auch für sein Amt gilt, diese Frage dürfte ihn und sein Umfeld mehr beschäftigen, weil sie die Zukunft der Islamischen Republik tangiert. Die Entmachtung des Revolutionsführers. Oder die Reduzierung des Amtes auf repräsentative Aufgaben, entspricht aber dem Wunsch der Mehrheit der iranischen Bevölkerung. Auf alle Ewigkeiten wird man sich diesem Wunsch nicht widersetzen können.

Beitrag senden

Drucken mit Kommentaren?



href="javascript:print();"